Corporate Responsibility – ein neues Unternehmensrecht?
Corporate Responsibility ist der Oberbegriff für die Anstrengungen von Unternehmen, neben Gewinnstreben
auch soziale und gesellschaftliche Zwecke zu fördern. Die Organe der Gesellschaft sind berechtigt, in
angemessenem Rahmen auch nicht gewinnorientierte Ziele zu verfolgen. Es gehört zu ihren Aufgaben
und zu ihrer Verantwortung, dass das Unternehmen in der Öffentlichkeit und im Kapitalmarkt als „good
corporate citizen“ wahrgenommen wird. In jüngerer Zeit übernehmen der deutsche und der europäische
Gesetzgeber mit großen und raschen Schritten festzulegen, wie Unternehmen Corporate Responsibility
wahrzunehmen haben. Corporate Responsibility wird zu einem neuen Unternehmensrecht. Die beiden
wichtigsten Verantwortungsfelder sind der Klimaschutz und die Verantwortung in globalen Lieferketten.
Der Verlag Dr. Otto Schmidt hat mit der KlimaRZ und der neuen CRZ – Zeitschrift für Corporate Responsibility
& Recht in der Lieferkette zwei Foren geschaffen, um die neuen Rechtsfragen der Corporate Responsibility
zu analysieren und zu diskutieren.
Gesetzliche Regeln zur Verantwortung von Unternehmen sind nicht neu. Seit mehr als 100 Jahren halten
gesetzliche Vorschriften Unternehmen zum Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern an, seit mehr als
40 Jahren zum Schutz der Umwelt. Beide Bereiche sichern verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen. Die Beispiele lassen sich mehren. Neu ist nicht die Idee, sondern der Rahmen, in dem der deutsche und der europäische Gesetzgeber Unternehmen gesetzliche Pflichten auferlegen. Die neuen Regeln verlangen Beachtung nicht nur im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates, sondern haben extraterritorale Wirkung. Sie sind zudem weltweit anzuwenden, mit hohem Aufwand verbunden und beziehen sich auch nicht nur auf den eigenen Geschäftsbetrieb und den Konzern, sondern reichen weit über den Corporate Veil hinaus in Liefer- und Wertschöpfungsketten. Kritische Analyse und Diskussion kann einen Beitrag leisten, die Belastungen der neuen Regeln für Unternehmen auf ein notwendiges Maß zu begrenzen, einen Austausch über effiziente und durch neue Technologien unterstützte Managementsysteme zu fördern
und Regeln ohne ausreichenden Nutzen für den gesetzlichen Schutzzweck zu vermeiden.
Die rechtlichen Regeln zu Corporate Responsibility sind gegenwärtig Einbahnstraßen. Verantwortung wird
einseitig auf Unternehmen übertragen. Es ist absehbar, dass das Verhältnis zwischen der Wahrnehmung
von Verantwortung durch Unternehmen und Staaten eine neue Balance gewinnen muss. Dazu vier Beispiele, sämtlich aus dem Bereich der neuen Lieferkettenregelungen und sämtlich als streitbare Position
zur Anregung der Diskussion:
1. Im klassischen Modell sind die Aufgaben zwischen Unternehmen und Staat klar abgegrenzt. Staaten
schaffen rechtliche Regeln und übernehmen es, durch staatliche Aufsicht die gleichmäßige Befolgung
von rechtlichen Regeln durch Unternehmen zu gewährleisten. Aufsicht ist ein wichtiges Instrument,
um ein „level playing field“ zu sichern. Es ist absehbar, dass sich die klassischen Konzepte der staatlichen
Aufsicht verändern werden und verändern müssen. Unternehmen setzen bei der Kontrolle der
Rechtsbefolgung zunehmend auf Zertifizierungssysteme. Die Arbeit wird auf spezialisierte Dienstleister und Organisationen ausgegliedert. Die europäische Presse deckt allerdings auch immer wieder Defizite
der Zertifizierungsorganisationen auf. Effiziente staatliche Kontrolle wird sich künftig weniger auf
die Kontrolle von Einzelunternehmen ausrichten und stärker zu einer Kontrolle von Zertifizierungsorganisationen entwickeln müssen. Wie die staatliche Kontrolle von Zertifizierungsorganisationen strukturiert werden kann, bedarf der rechtlichen Analyse und Diskussion. Wer ein level playing field sichern will, muss zudem marktbezogene Regeln schaffen, die auch Unternehmen ohne Sitz im europäischen Binnenmarkt zu beachten haben, wenn sie Produkte im Binnenmarkt vertreiben. Der Entwurf der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) zeigt, dass die Regeln für eine marktbezogene Aufsicht, die auch Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union
einbezieht, noch in Kinderschuhen stecken.
2. Um eine Balance zwischen der Verantwortung von Unternehmen und Staaten zu erreichen, müssen
Staaten künftig ihre Verantwortungsbeiträge erhöhen. Ein gutes Beispiel dafür bietet die europäische
Konfliktmineralien-Verordnung. Die Verordnung erlegt Unternehmen besondere Sorgfaltspflichten auf,
wenn sie Konfliktmineralien aus Konflikt- oder Hochrisikoländern beziehen. Welche Länder als Konflikt-
und Hochrisikoländer einzustufen sind, regelt die Verordnung nur abstrakt. Unternehmen müssen
in eigener Verantwortung klären, ob das Bezugsland ein Konflikt- oder Hochrisikoland ist. Ist es
aber effizient, dass jedes Unternehmen gesondert und mit Risiken für die Rechtssicherheit in eine
Prüfung eintritt, welche Länder als Konflikt- oder Hochrisikoländer zu beurteilen sind? Tatsächlich hat
die Europäische Kommission inzwischen eine private Organisation (RAND Europe) beauftragt, vierteljährlich
eine weltweite (indikative) Liste der Konflikt- und Hochrisikoländer zu veröffentlichen. Unternehmen
orientieren sich heute weitgehend an dieser Liste (CAHRA-Liste). Das ist eine richtige Entwicklung.
Die neuen Regeln zur Corporate Responsibility erfordern eine genaue Analyse, so lässt sich
verallgemeinern, welche Unterstützung die Europäische Union oder die Mitgliedstaaten Unternehmen
bei der Wahrnehmung von Verantwortung anbieten können. Die Beiträge der Europäischen Union und
der Mitgliedstaaten müssen zweifellos über die Verabschiedung von Q&A und Handreichungen hinausgehen
und sich strikt an dem Grundsatz der effizienten Aufgabenverteilung zwischen Unternehmen
und öffentlicher Hand orientieren.
3. Unternehmen können erwarten, dass der Gesetzgeber höchste Standards bei der rechtstechnischen
Qualität neuer Vorschriften anwendet. Realität ist, dass es auf europäischer Ebene weder systematische
Bemühungen zur Sicherung der rechtstechnischen Qualität neuer Vorschriften noch zur Verbesserung
bestehender Vorschriften gibt. Wie etwa die europäische Konfliktmineralien-Verordnung zeigt,
sind die Gesetzestexte in ihrer sprachlichen Genauigkeit und in ihrer Regelungslogik häufig schwer
zugänglich. Das führt bei Unternehmen zu hohen Kosten. Defizite in der rechtstechnischen Qualität
neuer Vorschriften müssen aufgedeckt und adressiert werden. Unternehmen sollten die Sicherung
der rechtstechnischen Qualität neuer Vorschriften stärker einfordern.
4. Die europäische Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten zielt darauf, den europäischen Binnenmarkt für Produkte zu sperren, die zur weltweiten Entwaldung beitragen. Die Verordnung will Primär-
und Naturwälder gegen Umwandlung in landwirtschaftlich genutzte Flächen schützen. In vielen
Länder und Regionen weltweit besteht keine Gefahr, dass Primär- oder Naturwälder in landwirtschaftlich
genutzte Flächen umgewandelt werden, etwa weil es in dem Land oder in der Region keine Primär-
oder Naturwälder (mehr) gibt oder die bestehenden Primär- oder Naturwälder wirksam geschützt
sind. Gleichwohl haben Unternehmen die Verordnung auch dann anzuwenden, wenn sie relevante
Produkte aus Ländern oder Regionen ohne Umwandlungsrisiko beziehen. Auch wer Rinder erwirbt,
die in Schleswig-Holstein aufgezogen worden sind, muss Regeln anwenden, die dem Schutz
von Primär- und Naturwäldern in landwirtschaftliche Nutzflächen dienen. Der europäische Gesetzgeber
wollte mit der überschießenden Regelung den Vorwurf vermeiden, sich in Widerspruch zum
General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) zu setzen. Das folgt aus dem 32. Erwägungsgrund der
Verordnung. Wie ohne Widerspruch zum GATT eine überschießende Reichweite von gesetzlichen Regeln
zur Corporate Responsibility vermieden werden kann, bedarf weiterer Analyse und Diskussion.
Die Zeit drängt. Spätestens bei der schon für 2022 vorgesehenen Überprüfung der Konfliktmineralienverordnung stellt sich die Frage neu.
Editorial
Christian Gehling
Corporate Responsibility – ein neues Unternehmensrecht? S. 236
Beiträge
Leonhard Hübner
Enforcement-Modelle in der Lieferkettenregulierung S. 238
Dörte Poelzig
Private und public enforcement in Lieferketten als smart mix S. 244
Jonas Rosengardt
Können Gerichte zielführend über Klimahaftung entscheiden? S. 250
Blick aus der Politik und Praxis
Alexandra Klein
Interview mit Judith Skudelny S. 259
Rechtsprechungsübersicht
Montana First Judicial District Court, Lewis and Clark County: State had acted unconstitutionally by neglecting
to consider climate change when approving fossil fuel projects (Montana First Judicial District
Court Lewis and Clark County, URTEILSART v. 14.08.2023 – Cause-No. CDV-2020-307) m. Anm. Anthony G.
Papetti S. 260