Verbandsklagen im Klimaschutz
Die Zeiten, in denen Ökonomie und Ökologie die Notwendigkeit des Klimaschutzes unterschiedlich bewerteten, sind vorüber. Die Wirtschaft forciert den Klimaschutz, der sich unter gleichen Wettbewerbsregeln auszahlt. Die Ökologie erkennt, dass Umweltschutz nur in sozial verträglicher Weise durchgesetzt werden kann. Beide gehen den Klimaschutz heute als Partner in gemeinsamer Anstrengung an.
Diese Partnerschaft öffnet den Raum für einen neuen Diskurs über den Klimaschutz unter allen gesellschaftlichen Gruppen. Sie gibt den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Gelegenheit, in einen umfassenden Dialog mit Umweltschutzorganisationen und Unternehmen, mit Politik und Medien zu treten. Die „KlimaRZ“ will diese Chance in der Diskussion um den Klimaschutz literarisch wahrnehmen. Sie wird ein für alle Beteiligten offenes Forum bieten, in dem sich Wissenschaft und Praxis in Beratung und Verwaltung, Politik und Gesellschaft mit den Fragen des Klimaschutzes befassen und seine Ziele fördern können.
Das vorliegende erste Heft konzentriert sich auf die Frage, ob der Klimaschutz durch die Dritte Gewalt im Staat durch Rechtsfortbildung vorangebracht werden kann oder ob die Gerichte sich dabei eher zurückhalten und dem Parlament das Klimaschutzrecht ganz überlassen sollten. Der Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Entscheidungen „Urgenda“ und „Royal Dutch Shell“ in den Niederlanden bis hin zum Rechtsstreit um den Feinstaub am Stuttgarter Neckartor belegen die Brisanz von Verbandsklagen, die sich einen generellen Umschwung und einen weiteren Impuls durch die Gerichte erhoffen. Das Thema stellt grundsätzliche Fragen an Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat sowie allgemein an die Legitimation von Richterrecht. Werden Gerichte mit Verbandsklagen in die Rolle des Aktivisten gedrängt oder erfüllen sie nur wie bisher ihre Aufgabe der Rechtskontrolle? Ist es sinnvoll, klimapolitische Kontingentierungen von CO2-Emissionen über Jahrzehnte hinaus schon heute im parlamentarischen Gesetz festzuschreiben, das im Streitfall den Richter streng bindet? Sind gerichtliche Verfahren, deren Prozessordnungen sich grundsätzlich auf Rechtsfragen und den Streit zwischen Prozessparteien ausrichten, überhaupt geeignet, umweltpolitische Konzepte voranzubringen? Oder verfolgen sie nur die individuellen Interessen der Beteiligten und treffen Entscheidungen für die Gesamtgesellschaft allein am Maßstab des Rechts ohne Rücksicht auf ökonomische, politische und soziale Belange? Reicht die mittelbare demokratische Legitimation der Gerichtsbarkeit für die Bildung von Richterrecht aus, um Regeln im Umweltschutz mit Wirkung für uns alle zu treffen, oder verlässt sie damit bereits ihre Bindung an Recht und Gesetz und entwirft statt der Ersten Gewalt Gesamtkonzepte für den Umweltschutz?
Verbandsklagen im Klimaschutz werfen eine Fülle von Fragen auf. Das vorliegende erste Heft der „KlimaRZ“ versucht, sie wissenschaftlich zu erörtern und zu beantworten.
Editorial
Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof
Verbandsklagen im Klimaschutz
Politischer Leitgedanke zum Start des neuen Hefts
Dr. Marco Buschmann, MdB, Bundesminister der Justiz
Geleitwort des Ministers in der Erstausgabe der Zeitschrift „KlimaRZ“ zum Thema „Nachhaltigkeit in der Rechtspolitik“.
Beiträge
Ludger Giesberts / Wolfgang Haas
Klimawandel vor Gericht.
Lars Klöhn / Jakob Jochmann
Nachhaltigkeit im Kapitalmarktrecht — Eine Standortbestimmung nach dem EU-Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums.
Michael Nietsch
Internationale Nachhaltigkeits-Governance — Corporate Governance und Nachhaltigkeitsfaktoren als neuartiger Betrachtungsgegenstand des Gesellschaftsrechts.
Blick aus der Politik und Praxis
Berthold Welling
Interview mit MdB Elisabeth Winkelmeier-Becker — Im Gespräch mit Berthold Welling.
Nachgehakt – Pro & Contra
Markus Kaltenborn
Zur privatrechtlichen Bindung völkerrechtlicher Abkommen zum Menschenrechts- und Umweltschutz — Pro Standpunkt.
Jens Ekkenga
Zur privatrechtlichen Bindung völkerrechtlicher Abkommen zum Menschenrechts- und Umweltschutz — Contra Standpunkt.
Rechtsprechungsübersicht
Vorlage zur Vorabentscheidung – Einstellung der Tätigkeit eines Luftfahrzeugbetreibers wegen Insolvenz – Bescheid der zuständigen nationalen Behörde über die Nichtvergabe von Zertifikaten an den Insolvenzverwalter der in Liquidation befindlichen Gesellschaft.
Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerden zur landesgesetzlichen Normierung eines Reduktionspfades für Treibhausgase erfolglos – Keine eingriffsähnliche Vorwirkung – Keine den Ländern jew. vorgegebene spezifische Gesamtreduktionsmaßgabe.
Außervollzugssetzung einer Verordnung über die Festsetzung eines Bebauungsplans wegen Etikettenschwindel bzw. eines Abwägungsdefizits in Bezug auf Förderung des Klimaschutzes und Klimaanpassung.
Internationale Beiträge
Arjen de Snoo / Jorian Hamster
The Shell Case: The Application of Soft Law in Climate Change Litigation.