Massenschäden – ein Phänomen, das die Akteure im Umgang mit Recht nicht mehr
loslässt.Wie gehen wir künftig damit um? Egal, ob es sich um den NOx-Skandal oder
geschönte CO2-Werte der Automobilindustrie, die Wirecard-Affäre, vertragswidrige
Entgelterhöhungen bei privaten Krankenkassen,Banken und anderen handelt oder um
Fahrgastrechte, das Gebaren der Wirtschaftsauskunfteien, Datenleaks und Willkür
auf einschlägigen Social-Media-Plattformen, wettbewerbsrechtswidrige Praktiken
der Industrie, handwerkliche Fehler bei der Grundsteuer oder andere Serienschäden;
diese Themen sind allgegenwärtig und das konzentrierte Aufeinandertreffen von
David gegen Goliath bzw. Repeat Player gegen One Shotter ist aus der Rechtsbranche
nicht mehr wegzudenken.
Ist unser Rechtsstaat diesen Konfliktformen gewachsen? Haben Justiz und Politik
das Ausmaß der Defizite unserer Prozessordnungen tatsächlich verstanden? Oder
gehen echte Innovations-und Reformbemühungen nur von einigen wenigen aus,während
das Handeln der relevanten Amts- und Entscheidungsträger von einem Geist der
Halbherzigkeit geprägt ist. Kosmetik statt Transformation scheint das Leitmotiv.
Diese Kritik mag fundamental klingen, die Herausforderungen, vor denen unsere
Rechtsordnung steht, sind es allerdings auch.
Bundesjustizminister Dr.Marco Buschmann spricht in einer Pressemitteilung seines
Ministeriums im Rahmen der Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie über die
Fortentwicklung des „bewährten Modells der Musterfeststellungsklage“. Hat sich
die Musterfeststellungsklage tatsächlich bewährt? Wenn ja, für wen? Aus Politik
und Richterschaft hört man zuweilen Stimmen: „Na ja, ganz so rückständig sind die
Zivilgerichte auch nicht, siehe Hessen und die Fluggastverfahren“ oder Schuld an
der Überlastung der Gerichte sei die Klageindustrie. Ist möglicherweise ein solches
Selbstverständnismitursächlich für den maroden Zustand unserer Ziviljustiz?
Die folgenden Beiträge dieser Ausgabe gehen den hier aufgeworfenen Fragen nach und
nehmen aktuelle Massenschäden in den Blick. Im zweiten Teil des Heftes geht es um
die Modernisierung des Zivilprozesses. Dabei wird unter anderem auf den kollektiven
Rechtsschutz außerhalb Deutschlands geschaut und die Umsetzungsidee der Bundesregierung
über die EU-Verbandsklagerichtline in den Fokus genommen. Im dritten
Teil dieser Ausgabe wird aufgezeigt, welche Innovationen die Branche schon heute
bewegen.Dabei geht es nicht nur um technische Features, sondern vor allem um Mindset.
Während die Technologisierung des staatlichen Justizapparats, ausgenommen
wenige Leuchtturmprojekte,mit der Einführung der flächendeckenden E-Akte in der
Parkbucht verweilt,befinden sich seine Kunden auf der Überholspur–nämlich die Prozessparteien
und ihre Rechtsbeistände. So werden auf Anwaltsseite bereits die Einsatzmöglichkeiten
von ChatGPT ausgeleuchtet und Ansprüche als Produkt begriffen.
Eins ist klar: Effektiver Verbraucherschutz funktioniert nur, wenn er für diejenigen,
die ihn sich zur Aufgabe gemacht haben, auch wirtschaftlich reizvoll ist.