Nachhaltigkeitsexpertise im Aufsichtsrat
Beschäftigt man sich mit der Frage der Nachhaltigkeitsexpertise im Aufsichtsrat, stößt man sehr schnell auf eine Vielzahl von Weiterbildungsmöglichkeiten zu Nachhaltigkeitsthemen – insbesondere für Mandatsträger. So werden Exzellenzkurse und Seminare angeboten, bei deren Abschluss die Teilnehmer Urkunden oder Zertifikate über die so erworbene Nachhaltigkeitsexpertise erhalten. In den sozialen Medien finden sich entsprechende Titel bereits in vielen persönlichen Profilen von Aufsichtsratsmitgliedern und Persönlichkeiten, die sich um Aufsichtsratsmandate bewerben. Es stellt sich die Frage, ob derartige Qualifikationsmöglichkeiten gemeint sind, wenn eine Professionalisierung der Aufsichtsräte und deren Nachhaltigkeitsexpertise gefordert wird.
Ein wesentlicher Faktor für die geschilderte Entwicklung ist die jüngste Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Die so bezeichnete „Nachhaltigkeit in der Unternehmenspraxis“ ist eines von zwei Leitmotiven, das den Erläuterungen der Änderungen des DCGK vorangestellt wird. Dazu wird formuliert, dass die jüngsten Änderungen des Kodex „Grundsätze und Empfehlungen zur Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit bei der Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen“ betreffen.
Im Kodex selbst finden sich dazu Änderungen in der Beschreibung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats (Grundsatz 6) und bei den Empfehlungen für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (Empfehlung C.1). In der Begründung zu dieser Empfehlung stellt die Kommission klar, dass das Kompetenzfeld der Nachhaltigkeit durch den Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit abgedeckt werden kann. Eine weitere wichtige Neuerung ist die Empfehlung zur Offenlegung einer sog. Qualifikationsmatrix. Zwar hat sich zu der Frage, wie eine solche Matrix aussehen soll und mit welchen Informationen sie auszufüllen ist, noch kein erkennbarer Standard herausgebildet. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Nachhaltigkeitsexpertise auch über die eingangs genannten Qualifizierungsmöglichkeiten dokumentiert werden wird.
In der Diskussion auf verschiedenen Fachveranstaltungen zum Thema werden dazu ganz unterschiedliche Ansätze vertreten. So finden sich Stimmen, die für die Nachhaltigkeitsexpertise eine naturwissenschaftliche Ausbildung fordern. Andere sind der Auffassung, dass der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer bestens geeignet sei, die Nachhaltigkeitsexpertise abzubilden. Überzeugend sind solch pauschale Aussagen allerdings nicht. Gesetz und Kodex hingegen helfen weiter.
Die Grundregel zur Kompetenz des Aufsichtsrats findet sich in § 111 Abs. 1 AktG. Danach hat der Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen. Negativ wird diese Kompetenz in § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG abgegrenzt. Dem Aufsichtsrat dürfen keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden. Um die Kernaufgabe als Überwachungsorgan des Vorstands erfüllen zu können, muss der Aufsichtsrat in der Lage sein, die Maßnahmen der Geschäftsführung zu verstehen und eigenständig zu beurteilen – anders ist eine wirksame Überwachung nicht denkbar.
Diesen Qualitätsanspruch belegen auch die aktuellen Anforderungen des § 100 Abs. 5 Halbs. 1 AktG: Mindestens ein Aufsichtsratsmitglied muss über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügen. Diese Kompetenzanforderungen zeigen, dass die Überwachung durch den Aufsichtsrat mindestens auf Augenhöhe mit dem befassten Vorstandsmitglied und dem Abschlussprüfer stattfinden soll.
Produkteigenschaften
- Medium: eBook
- Verlag: Fachmedien Otto Schmidt KG
- Sprache(n): Deutsch
- Ausgabetyp: PDF