Kohärenz im Kampf gegen den Klimawandel
Die gesellschaftlichen Leitdiskurse Klima und Nachhaltigkeit betreffen heute die Rechtswissenschaft und -praxis in nahezu all ihren Facetten. Zum Jahreswechsel steht hier besonders das Wirtschaftsrecht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn am 01.01.2023 tritt nicht nur das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft, das große Unternehmen zur Achtung von Umwelt- und Menschenrechtsbelangen entlang ihrer – auch grenzüberschreitenden – Wertschöpfungsketten verpflichtet. Dieser Meilenstein wird begleitet von zahlreichen weiteren wirtschaftsrechtlichen Vorgaben zur Förderung von Nachhaltigkeit. Noch im November 2022 haben das Europäische Parlament und der Rat eine Einigung über eine Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie erzielt, die eine Erweiterung der nichtfinanziellen Berichterstattung, zu welcher große Unternehmen seit 2017 verpflichtet sind, auf eine Nachhaltigkeitsberichterstattung bewirkt. Allein die geänderte Terminologie – weg von der Dichotomie aus finanzieller und nichtfinanzieller Information und hin zum umfassenden Konzept der Nachhaltigkeit – belegt, dass es der Unionsgesetzgeber ernst meint mit der Nachhaltigkeitstransformation. Dies verdeutlicht auch der aktuelle Vorschlag einer Corporate-Sustainability-Due-Diligence-Richtlinie vom 23.02.2022, der deutlich über die Vorgaben des LkSG hinausgeht und in Art. 15 explizit auf die Eindämmung des Klimawandels durch Unternehmen abzielt. Ein aktueller Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung soll zudem zukünftig ein breites Spektrum von Produkten nachhaltiger gestalten, indem deren negative Umweltauswirkungen während ihres gesamten Lebenszyklus reduziert werden. Und spiegelbildlich zur Realwirtschaft sowie von ganz entscheidender eigener Bedeutung ist die Entwicklung eines nachhaltigen europäischen Finanzwesens. Diese hat die Kommission bereits 2018 mit ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums fulminant angestoßen; neben einer Änderung der Benchmark-Verordnung – hier wurde u.a. ein EU-Referenzwert für den klimabedingten Wandel eingeführt – und einem Vorschlag für einen europäischen Greenbond-Standard stehen hier insb. die Offenlegungsverordnung und – ganz zentral – die Taxonomieverordnung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Letztere zielt darauf ab, eine umfassende Definition ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten und Finanzprodukte bereitzustellen.
Allen genannten Rechtsakten liegen weitreichende und komplexe rechtliche Fragestellungen zugrunde. Ohnehin besteht heute kein Zweifel mehr, dass die soziale Marktwirtschaft i.S. einer Berücksichtigung auch ökologischer Nachhaltigkeit fortzuentwickeln ist. Zu groß sind die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen, die unnachhaltiges unternehmerisches Verhalten weltweit verursacht. Es besteht Handlungsbedarf auch seitens der Rechtswissenschaft und hier insb. des Wirtschafts- und Unternehmensrechts, zumal dieses sich direkt an Unternehmen als die Hauptverursacher der Klimakrise richtet und deren Governance modelliert. Um hier eine geeignete rechtliche Infrastruktur zu schaffen und Greenwashing zu vermeiden, müssen Regelgeber zwei Dinge stärker beachten als bisher: Zum einen erfordert die Nachhaltigkeitstransformation einen kohärenten Ansatz, zum anderen muss das Konzept der Nachhaltigkeit in den einzelnen Rechtsakten stärker akzentuiert und definiert werden. Unterlässt man beides, so riskiert man Akzeptanz und Vertrauen der Normadressaten – dies hat die Möglichkeit der Einstufung von Atomenergie- und Erdgasaktivitäten als nachhaltig i.S.d. EU-Taxonomie eindrucksvoll belegt.
Produkteigenschaften
- Artikelnummer: A24040212316
- Medium: Einzelheft
- Verlag: Fachmedien Otto Schmidt KG
- Sprache(n): Deutsch
- Gewicht: 300 g