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KlimaRZ Ausgabe 6/2023

European Sustainability Reporting – Exportschlager zur Klimarettung?

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Seitenanzahl: 36
ISSN: 2748-1999
Ausgabe: 6
Jahrgang: 2023
Erscheinungstermin: 15. Juni 2023
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European Sustainability Reporting – Exportschlager zur Klimarettung?

 

Ein Baustein der von der EU vorangetriebenen Grünen Transformation ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung (Sustainability Reporting) der Unternehmen. Sie soll als zweite, gleichwertige Säule der Unternehmensberichterstattung neben die Finanzberichterstattung treten und umfangreich ausgebaut werden.

 


Zu diesem Zweck erlässt die EU derzeit zahlreiche und umfangreiche neue Regularien. Das Grundgerüst
liefert die jüngst verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie soll zugleich die
Basis für allerlei noch zu erlassende delegierte Rechtsakte sein, die European Sustainability Reporting
Standards (ESRS). Hier ist ein umfangreiches, detailliertes (um nicht zu sagen: detailverliebtes) Regelwerk
geplant, mit dem die EU sich an die Spitze der internationalen politischen Bewegung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung bringen und „Benchmarks“ für den internationalen Wettbewerb der Systeme setzen will. Dabei ist das Projekt in jeder Hinsicht (über-)ambitioniert: Die EU schreibt verpflichtend eine umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung nach dem Prinzip der „Doppelten Wesentlichkeit“ vor, d.h. zu berichten ist zum einen über wesentliche Auswirkungen etwa des Klimawandels auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen (Outside-in-Perspektive), aber zum anderen auch über wesentliche Auswirkungen der Unternehmenstätigkeiten auf die Umwelt (Inside-out-Perspektive). Bezugspunkt all dieser Berichtspflichten ist nach EU-Vorstellung zudem nicht allein die Umwelt, sondern nach dem Motto „Everything Everywhere All at Once!“ sollen umfangreich sämtliche Aspekte von Environment, Social and Governance (ESG) gleichermaßen und gleichzeitig reguliert werden. Nach Maßgabe der doppelten Wesentlichkeit ist also nicht allein über E-, sondern auch über S- und G-Aspekte zu berichten. Und last but not least soll es bald sogar noch allerlei sektorspezifische ESRS geben – mit all den damit einhergehenden Abgrenzungsproblemen und potenziellen Wertungskonflikten.

 


Kurzum: Auf die Unternehmen kommen umfangreiche neue Regelwerke zu, zahlreiche neue Datenpunkte
sind zu befüttern, dafür neue Berichtslinien und Prozesse aufzubauen, Berichte zu schreiben, Mitarbeiter
zu schulen, Meetings zu organisieren usw. Hinzu kommen weitere Pflichten nach der Taxonomie-Verordnung, nach dem Lieferkettengesetz, nach der geplanten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) usw. Mittelbar betroffen sind von all dem durchaus auch kleine und mittelgroße Unternehmen. Denn die Großunternehmen geben teilweise entlang ihrer Lieferketten auf privatrechtlicher Grundlage neue „Rahmenbedingungen für die weitere Zusammenarbeit“ vor und reichen dabei Pflichten nach weiter unten durch. Der kürzlich in der Wirtschaftspresse aufgegriffene Fall der „Metzgerei Stephan aus Ingelheim am Rhein“ (WiWo vom 07.04.2023: Wie eine kleine Metzgerei in die Mühlen des Lieferkettengesetzes geriet) veranschaulicht das Problem. Aber nicht nur für die Unternehmen stellen sich Herausforderungen, auch auf die Adressaten von Unternehmensberichten kommen Hunderte von Seiten neue Informationen zu, die sinnvoll verarbeitet werden wollen. Man darf gespannt sein, wie weit und wem das gelingt. Für die Berater schließlich eröffnet sich ein lukratives neues Betätigungsfeld. Kritiker betiteln die CSRD/ESRS denn auch als „full employment act for accountants and consultants!“, was leider zutreffen dürfte.

 


Wie gehen andere Wirtschaftsräume mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung um? Ansätze für neue Regulierungen dazu gibt es verbreitet. Beachtlich sind vor allem Vorschläge der SEC in den USA und des
International Sustainability Standards Board (ISSB) als dem künftig vielleicht maßgebenden internationa-
KlimaRZ 06/2023 149 len Standardsetter. Insoweit zeichnet sich aktuell ein neuer Wettbewerb der Systeme um die Entwicklung von Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ab. Die EU will hier politisch in die Vorreiterrolle kommen. Vereinzelte Akteure in Brüssel träumen dem Vernehmen nach vielleicht sogar davon, auf diesem Feld mit den ESRS einen regulatorischen Exportschlager zu erlassen, der Vorbild für andere Wirtschaftsräume werden soll. Dem kritischen Beobachter kommen Zweifel. Sarkastisch könnte man meinen, die EU reguliere nach dem Motto: „Wenn wir schon auf wenigen Felder noch Weltmeister sind, so dann doch zumindest auf dem Gebiet der Regulierung!“ Die USA und das ISSB gehen jedenfalls pragmatischer vor, andere wichtige Wirtschaftsräume kennen überhaupt keine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die EU-Regulierung dürfte daher eher „Ladenhüter“ statt „Exportschlager“ werden und als ein neuerlicher Wettbewerbsnachteil zulasten des europäischen Wirtschaftsraums wirken.

 


Bewirkt die ganze Regulierung dann wenigstens etwas Gutes für das Weltklima? Auch da habe ich meine
Zweifel. Sicher, die Nachhaltigkeitsberichterstattung schärft die Aufmerksamkeit für ESG-Belange und
stößt in den Unternehmen durchaus viele wichtige und richtige Änderungen an. Das war schon bei der
Non-financial Reporting Directive (NFRD) so und das wird auch bei der Umsetzung der CSRD und der
ESRS so sein. Wenn dadurch die Luft in Köln, Berlin und Frankfurt usw. besser wird, ist das natürlich ein
schöner und beachtlicher Erfolg. Aber Wirkungen auf das globale Problem des Weltklimas sind nur zu erhoffen, wenn die Nachhaltigkeitsberichterstattung der EU-Unternehmen nennenswert dazu beitragen
würde, dass nennenswerte Mengen an fossilen Brennstoffen im Boden bleiben und nicht verbrannt werden.
Das erscheint zumindest zweifelhaft. Eher wahrscheinlich dürfte sein, dass die Brennstoffe weiter
extrahiert und eben in anderen Regionen der Welt verbrannt werden. Eigentümer von fossilen Brennstoffen
wollen diese verwerten und werden sie wahrscheinlich aus der Erde holen und auf den Weltmärkten
weiterverkaufen, möglicherweise sogar schneller angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen
von grüner Politik (was H.-W. Sinn das grüne Paradoxon bezeichnet hat). Die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung wird daran wenig bis nichts ändern, befürchte ich.

 


Vor diesem Hintergrund stellen sich wichtige und schwierige Legitimationsfragen, auch an das EU-Verfassungsrecht: Ist das Instrument der delegierten Rechtsakte überhaupt tauglich und legitim, um umfangreiche, detaillierte und sogar sektorspezifische ESRS zu erlassen? Darf eine umfangreiche Regulierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die Ermächtigungsgrundlagen des AEUV zur Regulierung des Gesellschaftsrechts gestützt werden? Sind die Regulierungen verhältnismäßig oder überbordend? Ist bei der Verhältnismäßigkeitsbeurteilung durch Gerichte zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen auf das Weltklima wahrscheinlich gering sein werden? Zu all diesen Fragen würde man sich eine ergebnisoffene und ehrliche Debatte wünschen.

 


Gibt es andere und vielleicht sinnvollere Regulierungsinstrumente? Theoretisch und aus ökonomischer
Sicht spricht viel für eine konsequente CO2-Bepreisung bzw. Besteuerung. Dadurch könnten Anreize entstehen, weniger fossile Brennstoffe zu verbrauchen und alternative Technologien zu erfinden, die gleichwertige, grundlastfähige und ähnlich billige Energie erzeugen können. Allein: Die aktuelle politische Aufregung über die geplanten Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Heizungen sowie über
steigende Energiepreise zeigen, wie politisch schmerzhaft echte Anpassungen sind und welche gewaltigen
realpolitischen, aber auch sozialen Herausforderungen eine konsequente CO2-Bepreisung auslösen würde.
Und: Auch eine CO2-Besteuerung müsste, um positive Auswirkungen auf das Weltklima zu haben,
weltweit abgestimmt und exekutiert werden.

 


Dennoch: Dass wirkungsmächtige Instrumente auf einem steinigen Weg liegen, sollte kein Argument zur
Legitimation von eher fragwürdigen (oder, gemessen am Ziel der Verbesserung des Weltklimas, gar ungeeigneten) Instrumenten sein.

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Erscheinungsweise
10 Ausgaben im Jahr
Typ Zeitschrift

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