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KlimaRZ Ausgabe 9/2023

Wenn weniger mehr ist: Klimaschutz durch Vergaberecht

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Seitenanzahl: 27
ISSN: 2748-1999
Ausgabe: 9
Jahrgang: 2023
Erscheinungstermin: 15. September 2023
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Wenn weniger mehr ist: Klimaschutz durch Vergaberecht

 

Dass die Bewältigung des Klimawandels eine grundlegende Transformation von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft
erfordert und einen übergreifenden Auftrag für das Recht formuliert, steht spätestens seit dem
sog. Klimabeschluss des BVerfG fest. Die entsprechenden Zielsetzungen und Instrumente auf europäischer
Ebene sind im Programm eines „European Green Deal“ gebündelt, im nationalen Recht treten neben
das Klimaschutzgesetz des Bundes nahezu täglich neue Gesetze und Verordnungen auf allen staatlichen
Ebenen. Wenn Transformation eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Wirtschaft ist, liegt es auf der
Hand, dass dasjenige Rechtsgebiet, das unmittelbar die Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft reguliert,
nämlich das Vergaberecht, ebenfalls einen Beitrag zur Transformation leisten kann und muss.
Immerhin umfasst dieser Schnittstellenbereich rund 20% des BIP und es bietet sich hier dem Staat die Möglichkeit,
einerseits eine Vorbildrolle einzunehmen und andererseits, durch die Nutzung des Hebels der Beschaffung
von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen bzw. von Konzessionen, zusätzliche Effekte tief in die Wirtschaft hinein
zu erzielen. Das Spektrum reicht von der Beschaffung von Großrechenanlagen mit besonders niedrigem
Stromverbrauch (bei besonders vorteilhafter Haltbarkeit, Reparatur- und Entsorgungsfähigkeit) über möglichst
energieeffiziente Neubau- und Altbauvorhaben im Bereich staatlicher Gebäude bis hin zur Verpflichtung zum
Einsatz von E-Fahrzeugen etwa bei der Postzustellung oder bei der Erbringung von Verpflegungsleistungen in
staatlichen Schulen. Erfasst sind also sämtliche Felder der Staatstätigkeit.
Da trifft es sich gut, dass der in den ersten Jahren des europäischen Vergaberechts durchaus despektierliche
Umgang mit den angeblich „vergabefremden Zwecken“ schon seit Jahren einem kraftvoll-gestalterischen Zugriff
unter dem Label „Strategische Beschaffung“ bzw., spezifischer, „Green Procurement“ gewichen ist. Ganze
Normenkomplexe widmen sich mittlerweile dem Treibhausgasminderungsziel, so etwa das „Saubere-Fahrzeuge-
Beschaffungsgesetz“ und die „AVV Klima“, eine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Klimaschutz mit zahlreichen beschaffungs- und vergaberelevanten Verpflichtungen für die Dienststellen
des Bundes bei Beschaffungsmaßnahmen im Bereich ober- wie unterhalb der Schwellenwerte. Selbstverständlich
ist das „Green Procurement“ auch im Allgemeinen Teil des Vergaberechts, d.h. entlang der verschiedenen
im GWB geregelten Verfahrensstufen normativ verankert, ausgehend von der Zentralnorm des § 97
Abs. 3 GWB, wonach bei der Vergabe neben dem herkömmlichen Aspekt der Preisgünstigkeit auch „Aspekte
der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte“ berücksichtigt werden können.
Die amtierende Bundesregierung hat sich am Jahresende 2022 nun explizit aufgemacht, ein „Transformationspaket“
zu erarbeiten. Zu diesem Zweck wurde eine breit angelegte öffentliche Konsultation durchgeführt,
in deren Verlauf über 450 Stellungnahmen eingegangen sind. Diese wiederum wurden in mehreren
„Stakeholder-Runden“ im Juni 2023 erörtert; das Ministerium will bis Ende des Jahres 2023 einen RefE
erarbeiten. Gleich das erste Aktionsfeld (von fünf) lautet „Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen
Beschaffung“. Staatssekretär Giegold hat hierzu berichtet, dass die Stakeholder-Befragung eine nahezu
hälftig geteilte Befürwortung wie Ablehnung der Schaffung einer Verpflichtung zur Berücksichtigung nachhaltiger
Kriterien im Vergaberecht erbracht habe. Erfreulicherweise räumte er auch unumwunden ein,
dass Zielkonflikte mit dem anderen großen Aktionsfeld der „Vereinfachung und Beschleunigung der Vergabeverfahren“
und teilweise auch mit dem Aktionsfeld „Förderung von Mittelstand“ nicht von der Hand zu
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weisen seien. Auch der Forderung, dass derjenige, der z.B. mehr Nachhaltigkeit fordere, auch sagen müsse,
wie das „praxisgerecht und ohne erhöhte Hürden“ für den Mittelstand bzw. ohne zusätzliche Bürokratie
möglich sei, kann nur zugestimmt werden.
Versucht man diesen Ball im (selbstverständlich viel zu knappen) Rahmen eines Editorials aufzunehmen,
so kann zumindest ein Punkt benannt werden, an dem das Vergaberecht künftig mehr zum Klimaschutz
beitragen könnte als bislang. Dieser Punkt besteht darin, dass die wettbewerbliche, auf die Bieter fokussierte
Perspektive nun endgültig um die Perspektive des staatlichen (und damit letztlich auch gesellschaftlichen)
Beschaffungsbedarfs erweitert wird. Deswegen ist es auch gar nicht so sehr das Recht der Vergabe,
in dem die größten Transformationshebel liegen, sondern das ihm vorausliegende Recht und (noch
mehr) die dahinterstehende Politik der Beschaffung. „Vergabe“ setzt ja erst ein, wenn entschieden worden
ist, dass und was überhaupt beschafft werden soll, und betrifft dann „nur“ noch die Auswahl zwischen
verschiedenen Bietern und ihren jeweiligen Angeboten. In diese Richtung weist bereits § 13 Abs. 2 KSG,
der explizit bei der „Beschaffung“ eine Prüfpflicht des Bundes im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele
statuiert. Sodann heißt es in § 13 Abs. 2 Satz 2 KSG: „Kommen mehrere Realisierungsmöglichkeiten infrage,
dann ist in Abwägung mit anderen relevanten Kriterien mit Bezug zum Ziel der jeweiligen Maßnahme
solchen der Vorzug zu geben, mit denen das Ziel der Minderung von Treibhausgasemmissionen über
den gesamten Lebenszyklus der Maßnahme zu den geringsten Kosten erreicht werden kann.“
Eine lohnende Transformationsgesetzgebung würde daher an dieser Vorschrift ansetzen und danach trachten,
sie zu präzisieren und auszuweiten. Dies könnte auch im normativen Kontext des GWB erfolgen, namentlich im
Rahmen der die „Leistungsbeschreibung“ betreffenden Vorschrift des § 121 GWB. M.E. könnte ohne Verstoß gegen
die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung die Prüf- und Bevorzugungspflicht durchaus auch auf den
Bereich der Länder und Kommunen erstreckt werden. Unverändert beträfe dies aber nicht das „Vergabeverfahren“
(i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB), sondern das vorausliegende Stadium der Beschaffung. Die betroffenen Pflichten
werden also nicht zum Gegenstand etwaiger subjektiver Rechte konkurrierender Bieter – und sollten es auch
nicht. Vielmehr sollte es bei der Wertung des § 4 Abs. 1 Satz 10 KSG bleiben, wonach insoweit „subjektive Rechte
und einklagbare Rechtspositionen ... nicht begründet“ werden. Damit würde der Gefahr verlängerter Vergabeund
Rechtsschutzverfahren entgegengewirkt und gleichzeitig die Entschlossenheit insoweit besonders mutiger
und innovativer Beschaffungsstellen nicht bestraft.
Aber auch durch einen Verzicht auf bestimmte legislatorische Aktivitäten, also durch ein Weniger an Vergaberecht,
könnte ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Dies betrifft zum Ersten den Bund, der klugerweise
abwarten sollte, bis der von der Europäischen Kommission bereits vorgelegte Entwurf einer Verordnung „Net
Zero Industry Act“ (Stand 16.03.2023; COM (2023) 161 final) verabschiedungsreif geworden ist. Dieser Entwurf
enthält namentlich in Art. 19 eine Verpflichtung zur Verwendung bestimmter kumulativer Kriterien für den Fall
einer umweltbezogenen Beschaffung und zur Gewichtung des Beitrags der jew. abgegebenen Angebote zur
Nachhaltigkeit – also keine Verpflichtung dahingehend, Nachhaltigkeit zwingend als Zuschlagskriterium zu definieren.
Es wäre misslich, kurz zuvor hiervon strukturell etwaig abweichende nationale Regeln aufzustellen.
Der zweite Verzicht betrifft die Landesvergabegesetze. Diese überbieten sich seit Jahren teilweise darin,
das sowieso schon sehr komplizierte Geflecht der verschiedenen Verfahrensstufen im GWB-Vergaberecht
zwecks intensiverer Verfolgung ökologischer und sozialer Zwecke weiter zu verfeinern bzw. zusätzliche
Verpflichtungen zu normieren. Dies verkompliziert die Auftragsvergaben, ohne dass ein messbarer Mehrwert
für den Klimaschutz erkennbar ist. Der Bund sollte daher in seinem Vergabetransformationspaket
klar zum Ausdruck bringen, dass er hiermit von seiner Gesetzgebungskompetenz für das „Green Procurement“
i.S.v. Art. 72 Abs. 1 GG „erschöpfend“ Gebrauch gemacht hat.
Sollte der demokratische Prozess in den kommenden Monaten im GWB-Vergaberecht bestehende Kann- in
Muss-Vorschriften umwandeln (etwa die Generalnorm des § 97 Abs. 3 GWB, mit der Konsequenz, dass dann
bei der Vergabe künftig klimaschutzbezogene Aspekte berücksichtigt werden müssten), dann sei dringend angeraten,
eine solche Verpflichtung nicht auf sämtliche öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB zu beziehen.
Warum nicht (strukturell entsprechend den „Kleinen und Mittlerer Unternehmen“ [KMU]) auch auf Auftraggeberseite
die „Kleinen und Mittleren Auftraggeber“ (KMA) anders behandeln und etwaige Verpflichtungen zum
Green Procurement, also zu einem Verhalten jenseits des bisher bestehenden Pflichtenstandards, auf große
Auftraggeber (den Bund, die Länder, Gemeinden ab einer bestimmten Einwohnerzahl o.Ä.) beschränken? Dies
hätte für alle anderen Auftraggeber den weiteren Vorteil, dass ihnen die von jenen Auftraggebern innerhalb
weniger Monate gemachten Erfahrungen mit nachhaltigeren Leistungsbeschreibungen, Kriterienkatalogen,
Ausführungsbedingungen etc. vermittels eines Datenpools als Muster, Leitfäden ö.Ä. zur Anregung, Nachahmung
oder auch als abschreckendes Beispiel zur Verfügung stünden.
Prof. Dr. Martin Burgi,
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht sowie
Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Mitherausgeber von KlimaRZ.

Weitere Produktinformationen

Erscheinungsweise
10 Ausgaben im Jahr
Typ Zeitschrift

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