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KlimaRZ Ausgabe 5/2023

Wie viel Klimaschutz erlaubt das Gesellschaftsrecht?

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Seitenanzahl: 36
ISSN: 2748-1999
Ausgabe: 5
Jahrgang: 2023
Erscheinungstermin: 15. Mai 2023
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Wie viel Klimaschutz erlaubt das Gesellschaftsrecht?

 

Maßnahmen zum Klimaschutz sind in aller Munde. Viele Unternehmen setzen sich das Ziel, möglichst
bald „klimaneutral“ zu werden. Wenn man Unternehmensleitern die Frage stellt, ob sich dies denn mit
ihren gesellschaftsrechtlichen Pflichten vertrage, blickt man meist in staunende Gesichter. Mehr Klimaschutz
sei doch politisch gewollt, der Druck von allen Seiten hoch.

 


Und diese Antwort liegt im Ausgangspunkt auch nahe: Unternehmen, die unter die Corporate Sustainability
Reporting Directive (CSRD) fallen, werden künftig sogar ausdrücklich verpflichtet, über „Durchführungsmaßnahmen
und [die] zugehörigen Finanz- und Investitionspläne“ zu berichten, die sicherstellen, dass ihr
„Geschäftsmodell und [ihre] ... Strategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung
der Erderwärmung auf 1,5°C ... und dem ... Ziel der Verwirklichung der Klimaneutralität bis 2050
vereinbar sind“ (Art. 19a RL 2013/34/EU i.d.F. der CSRD). Die CSRD enthält zwar keine entsprechende Verhaltenspflicht.
Faktisch lässt sich die Berichtspflicht aber nur sinnvoll erfüllen, wenn das Unternehmen
eine entsprechende Strategie verfolgt. Man kann sich leicht ausmalen, welchem öffentlichen Druck Unternehmen
ausgesetzt sein würden, die hier schlicht eine „Fehlanzeige“ berichteten.

 


Mit jedem weiteren „grünen“ Rechtsakt der EU wird deutlicher, dass der europäische Gesetzgeber nicht
(mehr) auf die Prämisse vertraut, dass wirtschaftlicher Erfolg nur unter Berücksichtigung des Klimaschutzes
und weiterer ESG-Belange möglich ist und Unternehmen daher aus eigener Motivation die grüne
Transformation ihrer Geschäftsmodelle anstoßen werden. Vielmehr soll dies nun über gesetzliche Vorgaben
erreicht werden. Allerdings: Das Mittel der Wahl ist dabei nach wie vor überwiegend die mittelbare
Regulierung. Nur vereinzelt werden unmittelbare Verhaltenspflichten eingeführt wie etwa mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
in Deutschland und der auf europäischer Ebene geplanten Corporate Sustainability
Due Diligence Directive (CSDDD). Ausgerechnet im Bereich des Klimaschutzes, der in der öffentlichen
Wahrnehmung den Kern der ESG-Debatte bildet, wirkt der Gesetzgeber demgegenüber vorrangig
mittelbar auf die Realwirtschaft ein. Einerseits durch Vorgaben für die Finanzindustrie, die dazu führen
sollen, dass es für Unternehmen ohne „grüne“ Strategie zunehmend schwieriger wird, Kapital zu beschaffen,
andererseits durch umfassende Berichtspflichten – und zwar schon bisher durch die Pflicht zur Abgabe
einer nichtfinanziellen Erklärung (auf Grundlage der Richtlinie 2014/95/EU) und der Angabe von Taxonomiekennzahlen
(unter der Verordnung EU 2020/852), künftig durch die umfassende Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung
(plus Taxonomiekennzahlen) unter der CSRD.

 


Diese Feststellung zur Art der Regulierung mag vor dem Hintergrund, dass Unternehmen sich angesichts
der Berichtspflichten und des öffentlichen Drucks wohl auch der mittelbaren Regulierung „beugen werden“,
spitzfindig erscheinen. Bei Lichte besehen zeigt sich hier aber eine erhebliche Schwachstelle der
bisherigen Regulierung. Denn der Gesetzgeber hat nicht nur weitgehend davon abgesehen, direkte Handlungspflichten
mit Blick auf den Klimaschutz zu verankern, sondern er hat es auch versäumt, das gesellschaftsrechtliche
Pflichtenprogramm insgesamt anzupassen oder zu erweitern.

 


Der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft hat die Gesellschaft gem. § 76 AktG unter eigener Verantwortung
zu leiten, wobei er dem Unternehmenswohl verpflichtet ist. Über die Einzelheiten wird zwar gestritten,
aber es dürfte nach wie vor der h.M. entsprechen, dass die langfristige wirtschaftliche Rentabilität
der Gesellschaft den Kern des Unternehmensinteresses bildet und ihr daher besonderes Gewicht bei der
Ausübung des Leitungsermessens zukommt.
KlimaRZ 5/2023 121

 


Was bedeutet das für Maßnahmen zum Klimaschutz? Soweit der Gesetzgeber unmittelbare Verhaltenspflichten
statuiert wie etwa im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ist die Sache klar. Der Vorstand ist verpflichtet,
für die Einhaltung an die Gesellschaft gerichteter gesetzlicher Vorgaben zu sorgen (sog. Legalitätspflicht).
Die Frage, ob die Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes die Rentabilität steigert,
stellt sich nicht.

 


Im Bereich des Klimaschutzes fehlen demgegenüber aber – über die Einhaltung öffentlich-rechtlicher
Pflichten zum Emissionsschutz etc. hinaus – direkte gesetzliche Vorgaben. Insbesondere die CSRD erlaubt
es theoretisch auch, keine Strategie zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels zu haben. Damit muss der Vorstand
über entsprechende weitergehende Maßnahmen zum Klimaschutz im Rahmen seines Leitungsermessens
entscheiden. Insoweit ist in der Rspr. des BGH zwar anerkannt, dass der Vorstand auch finanziell
nachteilige Maßnahmen umsetzen darf, wenn sie sich langfristig als wirtschaftlich sinnvoll erweisen.
Wenn sich die langfristige Rentabilität aber etwa für eine besonders klimafreundliche Einzelmaßnahme
oder auch für die Aufgabe eines besonders klimaschädlichen Geschäftsbereichs nicht überzeugend darlegen
lässt, ist die Umsetzung der Maßnahme nach geltendem Gesellschaftsrecht an sich pflichtwidrig.

 


An den Gesetzgeber gewandt gilt: Wer B sagt, muss auch A sagen. Wenn gewollt ist, dass Maßnahmen zur
Erreichung von ESG-Zielen, die gesetzlich nicht verpflichtend vorgegeben sind, von der Unternehmensleitung
auch dann umgesetzt werden dürfen (oder vielleicht sogar müssen?), wenn sie für das jeweilige
Unternehmen wirtschaftlich nachteilig sind, muss der Gesetzgeber dies im Gesellschaftsrecht regeln. Davon
sieht er bisher ab. In Deutschland etwa wurde der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der
Bundesregierung, § 76 AktG entsprechend zu ergänzen, nicht weiter verfolgt. Das ist nicht nur deshalb
misslich, weil es zu der aufgezeigten Bruchlinie zwischen Berichtspflichten und den gesellschaftsrechtlichen
Leitungspflichten führt. Es schadet auch der politischen Kultur, wenn eine tiefgreifende Änderung
(so berechtigt sie möglicherweise auch ist) des traditionellen gesellschaftsrechtlichen Leitungsbilds „durch
die Hintertür“ eingeführt wird, ohne dass eine offene politische Debatte darüber geführt wird. Auf europäischer
Ebene zeigt sich gerade bereits die politische Sprengkraft der Thematik. Art. 25 Abs. 1 des Kommissions-
Entwurfs für die CSDDD enthielt eine ähnliche Regelung; der Europäische Rat hat sich strikt dagegen
ausgesprochen. In welcher Form Art. 25 CSDDD das Trilog-Verfahren verlassen wird, ist völlig offen.

 


Für die Praxis lässt sich das Problem bisher meist auflösen. In der Regel wird es gelingen, jedenfalls bei
langfristiger Betrachtung auch die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Maßnahme zu dokumentieren.
Hierbei bewegt sich der Vorstand, soweit es nicht um die Befolgung gesetzlicher Verhaltenspflichten geht,
im Bereich der Business Judgement Rule. Es besteht also weites unternehmerisches Ermessen. Dabei
können Reputationsaspekte ebenso berücksichtigt werden wie zu erwartende weitere Regulierungsschritte
des Gesetzgebers. Und auch die Aufrechterhaltung der Finanzierungsfähigkeit kann es erforderlich machen,
eine „grüne“ Strategie zu verfolgen, die sich isoliert betrachtet nicht wirtschaftlich rechtfertigen lässt.
Aber klar ist auch: Reine „Vorzeigeprojekte“, deren wirtschaftlicher Nutzen sich unter keinem Aspekt belegen
lässt, sind gesellschaftsrechtlich de lege lata unzulässig.

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Erscheinungsweise
10 Ausgaben im Jahr
Typ Zeitschrift

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